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«Jeder Esel kann ein Bild machen» (interview in German with Oliviero Toscani / Tages Anzeiger // 09.01.2014 /+2 PDF)

Postato il 08.07.2015 da write@toscani.com Commenti Commenti disabilitati su «Jeder Esel kann ein Bild machen» (interview in German with Oliviero Toscani / Tages Anzeiger // 09.01.2014 /+2 PDF)

 

Interview: Leonie Krähenbühl

Der Italiener Oliviero Toscani wurde mit seinen Skandalkampagnen für Benetton zum «bad boy» der Werbefotografie.

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Oliviero Toscani kam 1942 in Mailand als Sohn eines Pressefotografen zur Welt. Nach seinem Fotografiestudium in Zürich wurde er zum kreativen Auge hinter Kampagnen von Chanel, Esprit, Fiorucci und vielen anderen. Prominent und umstritten wurde er als Creative Director von Benetton-Kampagnen (1982–2000): Er zeigte die blutgetränkten Kleider eines toten bosnischen Soldaten, zum Tode verurteilte Häftlinge in amerikanischen Gefängnissen, sterbende Aidspatienten.

Seine letzte Schockkampagne nach Benetton widmete er dem Kampf gegen Magersucht mit Bildern des sterbenden Magermodels Isabelle Caro.

(TA) (Bild: PD)

 

«Die Werbung ist ein lächelndes Aas» lautet der Titel Ihrer Präsentation vom kommenden Samstag hier in Zürich …
Wirklich? Das haben die als Titel angegeben? Das wusste ich nicht. (lacht) Das ist der Titel eines Buches, das ich vor einigen Jahren geschrieben habe. Ich habe eigentlich «50 Jahre überwältigenden Versagens» als Titel vorgesehen. (lacht laut)

Worin haben wir denn versagt?
Überall. Man hätte doch alles viel besser machen können. Wir leben in einer Welt der Krise. Wir sprechen nicht mehr miteinander. Wir kommunizieren nicht – stattdessen gehen wir auf Facebook und Twitter. Wir waren noch nie so isoliert.

Dann sind Sie Kulturpessimist?
Pessimist? Pessimisten, das sind doch die Leute, die das nicht verstehen. Dummheit lässt viel Optimismus zu. Nein, im Ernst jetzt. In Zürich werde ich meine Arbeiten zeigen, die ich seit meinem Schulabschluss gemacht habe. Es kommt ganz darauf an, wer so kommt. Ich mag Improvisation – ich werde mir die Leute anschauen und dann entscheiden, worüber ich sprechen möchte.

Sie waren 18, als Sie 1960 für fünf Jahre nach Zürich kamen. Warum in diese Stadt?
Nun, ich wollte an die Kunstschule und Fotografiestudieren, um Fotograf zu werden wie mein Vater. In Zürich war damals die beste Schule dafür. Ich war mir sicher, dass die mich nicht nehmen würden. Die waren sehr wählerisch. So habe ich die einwöchige Aufnahmeprüfung gemacht – und wurde genommen. Dabei konnte ich nicht mal Deutsch.

Hatten Sie eine gute Zeit hier?
Es war eine wunderbare Ausbildung. Damals machte man noch wirklich Fotos in der Schule! Heute macht man keine Fotos mehr. Man studiert, wie man Fotos macht. Ich hatte tolle Lehrer damals – ich habe heute immer noch Kontakt zu einigen davon. Walter Binder zum Beispiel. Ich mache auch ein Buch über die Schule (kramt hinter sich in einem Regal, zieht ein Buch hervor), wir entwerfen es gerade, ich helfe bei der Recherche.

Berühmt wurden Sie ja für Ihre Benetton-Kampagnen. Ihnen wurde oft vorgeworfen, Sozialkritik zu instrumentalisieren, um den Umsatz einer Firma zu steigern.
Ich habe die Kampagnen gemacht, weil das in meinen Augen der einzige Weg ist, um Werbung zu machen. (verwirft die Hände) Ich bin keine Werbefirma. Ich bin kein Werber!

Eigentlich hassen Sie Werbung.
Ich hasse sie nicht. Ich hasse nichts und niemanden. Ich finde nur, Werbung ist eine enorme Verschwendung von Geld und Intelligenz. Sie verpflichtet uns, etwas Bestimmtes zu verkörpern. Du bist erfolgreich, wenn du dich auf eine bestimmte Art kleidest, wenn deine Lippen so aussehen. (verzieht mit den Fingern seine Lippen, lacht) Das grosse Problem ist ja, dass wir alle Angst davor haben, zurückgewiesen zu werden. Deshalb suchen wir alle nach Konsens.

«Man kann nie zu weit gehen», haben Sie mal gesagt.
Wissen Sie, ich bin ein Kind der 60er. Rock ’n’ Roll! Wir waren die ersten in Zürich mit langen Haaren. Wir gehören zu einer Generation, die anders ist. Wir haben unsere Eltern nicht akzeptiert, die Institutionen nicht akzeptiert. Wir waren subversiv. That’s it.

Man nennt Sie auch den «bad boy of advertising». Was wurde aus ihm? Benetton ist jetzt zwölf Jahre her.
Ich glaube nicht, dass sich meine Arbeit verändert hat. Werbefirmen sind ja gar nicht an mir interessiert, die hassen mich. (lacht) Bald gehe ich vielleicht nach Nicaragua, um eine Kampagne gegen den Missbrauch privater Waffen zu machen. Ein anderes Projekt, an dem ich in Frankreich gerade arbeite, dreht sich um Inkontinenz. Ein wichtiges Thema, es betrifft nicht nur alte Leute. Das Menschsein, das menschliche Befinden interessiert mich. Produkte interessieren mich nicht.

Aber Sie haben doch auch Modeshootings gemacht.
Ein Modeshooting – da gehts doch um menschliches Verhalten.

Und am Ende geht es darum, Mode zu verkaufen.
Jaja, alles verkauft sich. Alles verkauft doch etwas! Als Mary Quant den Minirock erfand, war das ja zuerst mal ein sozialer Akt. Natürlich haben sich dann viele Miniröcke verkauft. Ich bin nicht gegen den Markt. Der Markt ist okay.

Sie sagten einst: «Manchmal ist Werbung Kunst, aber Kunst ist immer Werbung.» Wie meinten Sie das?
Nun, was ist die Sixtinische Kapelle? Werbung für die Kirche. Ich meine damit: Kunst ist der höchstmögliche Ausdruck von Kommunikation. (Das Telefon klingelt. Toscani flucht und verschwindet aus dem Bild.) Ich meine das nicht notwendigerweise im kommerziellen Sinne. Man teilt etwas mit, man macht auf etwas aufmerksam, auf seine Vision.

Was ist Ihre Vision?
Seit vielen Jahren arbeite ich an einem Projekt namens «Human Race». Ich versammle Tausende von Porträts von Menschen, die ich auf der Strasse fotografiert habe. Das hat vor langer Zeit angefangen, als jemand zu mir sagte: Du kannst kein Foto von mir machen, du stiehlst meine Seele. Als Fotograf hat mich das fasziniert. Und ich meine, es stimmt, da gibt es einen Ausdruck im Gesicht … Nehmen wir an, man kann die Seele wirklich einfangen mit einem Bild – das ist abstrakt. Das ist meine Recherche. Ästhetik, formale Masturbation, Virtuosität, die Farben – all das ist vorbei. (lacht) Jeder kann solche Fotos machen. Ich möchte sehen, was man nicht sehen kann. Das ist es.

Die Photo 14 ist eine Plattform für junge Fotografen. Was raten Sie jemandem, der ganz am Anfang steht?
Wissen Sie, die Zeiten haben sich geändert. Heute ist es so einfach, ein Bild zu machen! Jeder Esel kann ein Bild machen, wenn man ihm eine Kamera gibt. So denken plötzlich alle, sie seien Fotografen. Aber dabei geht die Poesie verloren. Man muss sich die Bilder vorstellen können! Man muss die Umwelt durch die Fotografie erkennen, sie durch die Augen und die Interpretation hindurchfiltern. Ich glaube nicht an Kunstfotografie. Das ist doch Bullshit. Fotografie ist wie Journalismus: das Gedächtnis und der Zeuge unserer Zeit. Ein Bild machen reicht nicht. Man muss interpretieren, was um einen herum passiert. Wenn du das kannst und einzigartig bist, dann werde Fotograf. Sonst lass es lieber.

Das Interview wurde via Skype geführt.

PDF (945 KB): Jeder Esel kann ein Bild machen_Tages Anzeiger_09.01.2014

PDF (281 KB):  Werbung ist eine enorme Geldverschwendung _Der Bund

 

Source: tagesanzeiger.ch