Berliner Zeitung · Nummer 179 · 3-4 August 2013: intervista ad Oliviero Toscani
Postato il 29.08.2013 da write@toscani.com Commenti Commenti disabilitati su Berliner Zeitung · Nummer 179 · 3-4 August 2013: intervista ad Oliviero Toscani
Oliviero Toscani …
… wurde 1942 in Mailand geboren als Sohn des ersten Fotoreporters, den die italienische Tageszeitung Corriere della Sera hatte.
… studierte Fotografie und Grafik an der Kunsthochschule in Zürich.
… hat Image-Kampagnen für Esprit, Chanel, Jesus, Inter Mailand, Woolworth und viele andere Unternehmen entworfen und realisiert.
… wurde berühmt durch seine ArbeitfürBenetton.Erentwarfdas gesamte Konzept für das interna- tional aufgestellte Unternehmen United Colors of Benetton. Von 1982 bis 2000 trug Oliviero Toscani erheblich dazu bei, aus der Strickwarenfirma aus Ponzano eine Weltmarke zu machen. Man stritt damals heftig darüber, ob er das machen dürfe: aufrüttelnde Fotos von ölverschmierten Schwimmvö- geln, noch an der Nabelschnur hängenden Neugeborenen, der blutverschmierten Uniform eines gefallenen bosnischen Soldaten, Aids-Kranken und zum Tode Verurteilten – alles nur, um mehr Pullover zu verkaufen als die Konkurrenz. Ein Gegenargument: Greenpeace, Amnesty Internatio- nal haben kein Geld, um diese Fotos auf der ganzen Welt zu zeigen. Er machte es möglich. Die Werbung sei die Tarnung. So ging die Auseinandersetzung damals.
… schmiss den Job für Benetton, als der Konzernchef sich von Toscanis Fotos gegen die Todesstrafe in den USA distan- zierte. Während der Mailänder Modewoche 2007 erschreckte Toscani nicht nur die Modewelt mit Fotos eines magersüchtigen Models.
… macht immer noch Fotos, aber auch seinen eigenen Wein, er hat eine eigene Brillenkollektion, und er züchtet, sehr erfolgreich, heißt es, Pferde.
Oliviero Toscani sitzt an einem Tisch im Garten der HPI School of Design Thinking in Potsdam, es ist ein warmer Tag, der Grieb- nitzsee ist nah. Der Fotograf, der für eine Konferenz hier ist, hat seinen Laptop vor sich und zeigt, womit er gerade beschäftigt ist. Dann wechselt er die Datei und zeigt vol- ler Stolz Aufnahmen seiner Pferde: „Das sind die wahren Models!“
Ist Toscanini die Koseform von Toscani? Also Toscanini ist der kleine Toscani?Exakt! Alle Toschi, Tosca, Toscani, Toscanini kommen aus der Gegend zwischen Piacenza und Parma. Das waren alles Ghibellinen, Kaisertreue, die vor den päpstlichen Truppen flohen. Nach Mailand zum Beispiel, wie meine Vorfahren. Sie waren politische Emigranten, und in ihrer neuen Heimat bekamen sie ihre Namen, die alle nichts anderes besagten,alsdasssieausderToskanastammten. Viele gingen bald wieder zurück, behielten aber ihre ExilNamen. Die erinnern sie da- ran, dass sie einmal Fremde in der Fremde gewesen waren.
Die United Colors of Benetton.
Na ja.
Wo kommen Sie jetzt her?
Ich war gerade in Guatemala. Ich habe dort eine große Ausstellung. Wenn man im Flughafen von Guatemala City ankommt, wird man von dreihundert Guatemalteken begrüßt. Es sind große Porträtaufnahmen der unterschiedlichsten Menschen. Wer den Flughafen betritt, sieht sofort: So bunt ist Guatemala. Ich habe alle diese Fotos gemacht. Und natürlich noch ein paar Hundert mehr, aus denen ich diese ausgesucht habe. Ich war in zehn verschiedenen Orten in Guatemala und habe fotografiert. Mein Atelier war ein Tisch auf dem Dorfplatz und eine weiße Leinwand. Mehr brauchte ich nicht. Diese Arbeit machte ich für die Men schenrechtsabteilung der Vereinten Nationen. Ich würde so etwas gerne noch an vielen anderen Orten in der Welt machen. Ich liebe diese Arbeit.
Was kriegen Sie dafür?
Nichts. Wirklich nichts. Das Geld interessiert mich da nicht. Warum wollen Sie mit mir sprechen?
Ich mache eine Serie mit Atelierbesuchen.
Ich habe kein Atelier. In Guatemala war es der Tisch auf dem Platz. Bei den Benetton Fotos waren es entweder Außenaufnahmen oder gemietete Räume. Atelier! Das klingt nach 19. Jahrhundert. Ich brauche frische Luft, das Leben. Fotografie ist keine Kunst. Fotografie ist Fotografie. Ich bin übrigens kein Fotograf, sondern ein Imaginator. Ich Gespräch mache nicht ein Bild von dem, was vor mir liegt, sondern ich mache das Bild, das ich mir vorgestellt habe. Dafür nehme ich mir, was ich brauche: einen Apfel, ein Knie …, was eben nötig ist. Wenn ich alles habe, stelle ich es so zusammen, wie ich es möchte und mache das Foto. So einfach geht das.
Jetzt gehen Sie in die Straßen, auf die Plätze und fotografieren die Leute, die dort sind.
Es scheint das Banalste von der Welt zu sein. Ich fotografiere Menschen. Ich verschaffe mir einen Überblick darüber, wie sie heute aussehen, gewissermaßen eine Bestandsaufnahme der Spezies Mensch Anfang des 21. Jahrhunderts. Es ist immer die selbe Aufnahme – ein Gesicht und eine weiße Leinwand – und doch ist es jedes Mal anders. Das fasziniert mich. Wie viele Millionen Fotos des schiefen Turms von Pisa gibt es? Ich mache jede Wette: Keines ist wie dasandere. Dasinteressiertmich. BeimDesign ist es ganz anders. Da versucht man, immer dasselbe herzustellen: eine Marke. Sehen Sie: Diese Stühle hier sind alle gleich. Auch diese Gläser. Das bringen nur wir fertig. Die Natur kann das nicht. Sind wir besser als die Natur oder unfähiger?
Man muss alles schon sehr genau organisieren, damit am Schluss zwei exakt gleiche Produkte herauskommen und dann gar Tausende!
Okay. Aber heute sieht ein Ford aus wie ein Citroen, und der wie ein Opel. VW sieht aus wie Fiat.
Was fahren Sie?
Einen Fiat Panda, einen Porsche.
Alles dasselbe?
Alle gleich! Ich mag die heutigen Autos nicht. Ich ertrage sie nicht.
Die Leute auf der Straße fotografieren Sie, weil sie so unterschiedlich sind?
Nein, nicht darum. Ich sehe ihnen in die Augen, und dann weiß ich, ob sie in diesem Augenblick die richtigen sind oder nicht. Es geht um den Augenblick. Sie machen nichts. Sie schauen in die Kamera. Das ist alles.
Nur Gesichter?
Nein. Bei manchen ist es nur das Gesicht, bei anderen der ganze Mensch. Mal so, mal so.
Wie entscheiden Sie das?
Instinkt. Die anderen nennen es Instinkt. Ich nenne es meine Muse.
Sie ist jung und schön?
Wir sind schon lange zusammen.
Diese Fotos haben Sie ja nicht nur in Guate- mala gemacht.
Sie gehören zu einem großen Projekt, das ich Razza Umana, die Spezies Mensch, nenne. Wir erforschen das Aussehen der Menschen, ihre Gestalten, die Art, wie sie sich ausdrücken und anziehen. Aber immer nur im Moment des Blicks in die Kamera. Es werden Fotos und Videos gemacht. Sie werden Teil eines multimedialen Archivs und einer niemals endenden Folge von Ausstellungen und Publikationen. Wer will, kann mit mir Kontakt aufnehmen und an seinem Ort, in seiner Institution entweder Fotos machen lassen oder sich Bilder für eine Ausstellung geben lassen, studio@toscani.com Wir waren schon in Guatemala, Kolumbien, Japan, Namibia, Frankreich, Italien, Schweiz, Deutschland, Israel. Ich habe Tausende fotografiert.
Könnte man das, was Sie in Guatemala gemacht haben, auch im Flughafen Frankfurt am Main machen?
Natürlich. Ichhabegehört, inFrankfurt leben nicht nur Türken, Italiener, Kroaten, Polen und Serben, sondern noch Zehntausende aus zwei Dutzend anderen Ländern. Also Inder, Amerikaner, Chinesen. Man stelle sich vor, auf dem Flughafen in Frankfurt würden die Reisenden empfangen von Hunderten von Fotos von Menschen aus allen Ecken der Welt alles Frankfurter, die sagten: Willkommen in Frankfurt am Main. Das wäre doch etwas! Ich würde das sofort machen. Können Sie das organisieren?
Darf ich mir die Aufnahmen auf ihrem Computer ansehen?
Ja, bitte.
Was ist das?
Das sind meine Kühe. Eigentlich bin ich Bauer. Hier ist das Video, das wir in Israel gedreht haben.
Sie haben sich auf eine Straße gestellt, ihre weiße Leinwand aufgestellt und angefangen, die Leute zu fotografieren.
Es ist ganz einfach. Wir haben sie auch noch befragt. Also zum Beispiel nach der Zukunft Israels. Ein, zwei Sätze. Mehr nicht. Aber wenn Sie das mit Tausenden machen, kommt da allerhand zusammen und sehr Unterschiedliches.
Wie lange waren Sie in Guatemala?
Zehn Tage.
Und dann weiter nach Kolumbien?
Nein, nein. Zurück nach Rom und ein andermal nach Kolumbien. Ich grase nicht systematisch die Kontinente ab, sondern fliege, wohin es sich ergibt. Dort fotografiere ich dann. Ich habe das schon immer so gemacht. Ich hatte nie ein eigenes Studio. Andere mögen es, brauchen es vielleicht auch, um sich sicher zu fühlen, um von dort aus alles organisieren zu können. Ich brauche kein Studio. Ich käme mir vor wie eingesperrt. In einem dunklen Loch, während draußen das Leben passiert. Ich glaube nicht, dass man beides haben kann: Sicherheit und Kreativität.
Also muss man auf der Straße leben?
Nein.
Aber wenigstens, damit es schön riskant ist, nur unter Feinden?
Nein, unter Freunden natürlich. Mit den Freunden habe ich die Schule geschwänzt. Wir haben uns Western von Howard Hawks angesehen, die Filme der Nouvelle Vague, später Godard. Großartig. Schule schwänzen und dafür Filme gucken – das müsste Pflichtfach sein!
UnddasKinoheute?
Seit dreißig Jahren gehe ich nicht mehr ins Kino. Keine Ahnung, was da läuft. Ich gehe nicht ins Kino und ich gucke kein Fernsehen. Zeitungen lese ich. Viel zu viel und viel zu viele.
Sie sind ein alter Mann.
Oder zu jung. Keiner von den Jungen guckt Fernsehen. Wer geht von denen noch ins Kino? Ich treibe mich viel im Internet herum. Das ist großartig.
Wo ist die Reklame bei den Fotos der Serie Razza Umana?
Alles ist Reklame. Auch die Sixtinische Kapelle war Reklame. Sie ist es noch. Es ist doch schön, auf einem Flughafen begrüßt, willkommen geheißen zu werden. Besser kann doch ein Land nicht für sich werben. Auch in Guatemala gibt es Probleme mit Minderheiten. Die sind alle dabei und alle heißen die Besucher willkommen. Wenigstens in der Fotografie gibt es dann für einen Augenblick diese Probleme nicht. In der Fotografie kann man ganz nahe an seinen Feind heranrücken, ohne ihn zu töten. Auch das ist Fotografie. Das habe ich den Leuten in Guatemala erklärt, und dann haben sie die Fotos im Flughafen aufgehängt. Ich hoffe, das auch in Afrika machen zu können.
Im Kongo?
Ich war im Kongo. Ich setze mich für die Abschaffung der Todesstrafe ein und war darum mit einer Organisation dort. Im Kongo wäre das sehr, schwierig. Aber ich würde das gerne zu meinem Beruf machen: Dokumentarist der razza umana, der Spezies Mensch.
Auch in Deutschland?
„Die neuen Deutschen“ würde das Projekt heißen. Es wären alle zu sehen, die a “Die neuen Deutschen” würde das Projekt heißen. Es wären alle zu sehen, die an ders aussehen, als die Deutschen vor einem halben Jahrhundert aussahen. Dreihundert Leute und nur ein paar Teutonen darunter, verstehst du? Lass’ uns das machen!
Wie macht man das?
Man holt sich eine Genehmigung. Ich bin sicher, in Deutschland braucht man eine Genehmigung, setzt sich auf einen Platz, den man sich vorher gut ausgesucht hat, … … zum Beispiel die Zeil in Frankfurt.
Das ist eine kleine Straße, auf der die unterschiedlichsten Menschen aus aller Welt sind. Gut. Aber es müssen Deutsche sein. Wir müssen die Pässe kontrollieren. Dann fotografieren wir die Leute – Opa und Oma, Eltern und Kinder – vor einem weißen Hintergrund. Mal nur das Gesicht, mal im Profil, mal en face, mal den ganzen Körper. Dann brauchen wir noch eine Unterschrift, dass wir die Fotos als Plakat verwenden, dass wir sie ins Internet stellen dürfen. So macht man das. Es ist ganz einfach. Man muss es nur tun. Schon hat man eine Dokumentation der neuen Deutschen, der neuen Frankfurter.
Wie viele Leute brauchen Sie für so eine Aktion?
Hundert. In zwei, drei Tagen hat man die zusammen.
Eine gute Idee. Jetzt brauchen wir nur noch jemanden, der das organisiert.
Die Zeitung? Die Stadt? Der Flughafen?
Sie haben vom Kino gelernt, sagten Sie. Von welchen Filmen? Gibt es einen, gibt es zwei, die Sie nennen können?
„Limonaden Joe“ von dem tschechischen Regisseur Oldrich Lipský, aus dem Jahre 1964. Eine WesternParodie. Ein Getränk namens Kola Loca bringt Frieden in den kapitalistisch wilden Westen. Von Carmelo Bene mochte ich sehr „La nostra signora dei Turchi“ von 1968 zum Beispiel. Mit Fellini war ich befreundet, Antonioni wollte, dass ich in einem seiner Filme mitspielte. Daraus wurde nichts. Wir hatten uns kennengelernt, als er mich bat, ihn bei der Arbeit an „Blow Up“ zu beraten. Das war 1966. Ich bin alt, sehr alt. Ich komme aus der Zeit von Bob Dylan und Muhammad Ali. Eine meiner Töchter habe ich Ali genannt. Nach Muhammad Ali. Erinnerst du dich an „Playtime“? Tatis Film von 1967. Den wusste ich – Einstellung für Einstellung – auswendig. Dann Godard.
Wollten Sie niemals selbst Regie führen?
Doch ja. Ich glaube, ich wäre gut gewesen. Vielleicht bin ich im falschen Beruf gelandet. Aber ich wäre niemals so frei gewesen, wie ich es jetzt bin. Filme sind teuer. Man muss viele Verpflichtungen eingehen, viel riskieren. Ich wollte immer frei sein. Unabhängig. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Bank betreten.
Quatsch!
Nein, das ist wahr. Ich weigere mich, eine Bank zu betreten. Ich gehe auch nie an einen Bankomaten.
Als Sie für Benetton arbeiteten, waren Sie frei?
Ich hatte nie einen Vertrag. Ich hatte niemals einen Vertrag mit irgendjemandem. Ich wollte immer die Möglichkeit haben, zu gehen, wenn es mir nicht mehr passt. Ich möchte die Freiheit haben, über jeden und alles das zu sagen, was ich denke. Also darf ich mich nicht in Abhängigkeit begeben.
Das ist Ihnen wichtig?
Das heißt Leben! Ich muss die Freiheit haben, einem Auftraggeber zu sagen, dass er keine Ahnung hat, dass er nichts kapiert. Ich brauche diese Freiheit. Um das zu tun, was ich tue. Das ist ja am Ende das, wofür sie mich bezahlen. Ich werde nicht dafür bezahlt, die Gedanken zu haben, die sie selbst schon haben. Aber das vergessen sie gerne. Sie wollen dann doch am liebsten nichts hören als die Echos ihrer eigenen Ideen. Am liebsten hören sie Ja. Aber aus einem Ja kommt nichts.
Haben Sie so etwas zu Benetton gesagt?
Nein. Er war anders. Aber den Chef von Swatch, den Sohn des Gründers, habe ich einen Idioten genannt.
Das musste sein?
Na ja, irgendeiner muss es ihm doch mal sagen. Ich kann es ihm sagen. Also tue ich es. Ich fühle mich wohler, wenn ich es sage. Und wenn er doch kein Idiot ist, dann nützt ihm das sogar. Aber er war ein typischer Fall von Papas Sohn: Füße auf dem Tisch und Zigarre im Mund, einer, der sich für ganz toll hält.
Das tun Sie doch auch!
Bei mir stimmt es. Bei einer dieser Präsentationen, die wir ja machen müssen, saß der ganze Vorstand einer Bank da, sah sich an, was wir gemacht hatten und dann kamen sie an: Muss der Schriftzug der Bank nicht etwas größer sein? Muss das da nicht besser links als rechts stehen? Man sitzt da im Sessel und sieht zu, wie sie die Kreativen spielen. Als dann aber einer sagte, „das Gelb ist zu stark“, hatte ich die Faxen dicke, bin auf meinen Sessel und von ihm auf den Tisch gesprungen, bin rüber zu dem Mann, habe mich hinuntergebeugt zu ihm und ihm gesagt: Natürlich ist das Gelb zu stark. Zu stark für Sie! Für die Leute draußen ist es Gespräch genau richtig. Was wissen Sie von draußen? Sie haben keine Ahnung. Sie haben gar keine Ahnung. Auf ihrem Schreibtisch steht ein Foto von ihrer Frau und den Kindern. Das brauchen Sie, sonst vergessen sie sogar, wie die aussehen.
Mit Ihnen möchte ich nicht arbeiten.
Man kann sehr gut mit mir arbeiten. Ich habe Leute, mit denen ich seit Jahrzehnten zusammenarbeite. Ich habe einen Freund, den kenne ich noch aus der ersten Volksschulklasse. Wir telefonieren fast täglich miteinander. Der hat allerdings noch nie zu mir gesagt: Das Gelb ist zu stark. Ich glaube nicht, dass es schwierig ist, mit mir zu arbeiten. Ich bin sehr umgänglich. Ich freue mich, wenn mir jemand etwas sagt, das ich noch nicht kenne. Aber wenn mir jemand mit Unsinn, mit prätentiösem Geschwätz kommt, dann kann ich schon mal ausflippen.
Das Gelb ist zu stark – das war doch neu für Sie.
Nein, nein, nein. Was heißt das denn? Gelb ist gelb. Gelb ist nicht blass, farbund charakterlos wie das Bild seiner Frau auf dem Foto im Goldrahmen auf seinem Schreibtisch. Gelb ist dazu da zu knallen. Wenn es nicht stark ist, ist es nichts.
Sie leben allein?
Ich lebe in der Toskana mit meiner Frau.
Doch ein Vertrag! Wo haben Sie das Foto Ihrer Frau?
Nein, ich habe kein Foto von ihr dabei. Sie kommt aus Norwegen. Sie sieht aus wie von Leni Riefenstahl. Ich habe sechs Kinder von drei Frauen, elf Enkelkinder. Der älteste Sohn ist 46 und hat vier Kinder! Dann noch zwei Töchter, die auch über 40 sind. Und mit meiner jetzigen Frau habe ich drei Kinder: 32, 27 und 25 Jahre. Alle sind gesund. Es geht allen gut. Glück. Wir haben alle Glück! Keine Drogen, keine Verbrecher. Kinder von Freunden habe ich sterben sehen. Mein Portemonnaie wäre brechend voll, wenn ich all diese Fotos mit mir herumschleppen wollte. Ich kriege ja noch nicht einmal die Namen aller Enkel zusammen.
Wenn Sie zu Hause sind, was machen Sie?
Ich züchte Pferde. Ich baue Wein an. Ich versuche, alles selbst zu reparieren.
Sie sitzen nicht zu Hause und betrachten Ihre alten Bilder?
Nein. Ich bin doch nicht verrückt. Das Archiv verwaltet mein Assistent. Ich küm- mere mich um das, was getan werden muss. Wenn Sie wollen, um die Zukunft.
Interessieren Sie sich für die Zukunft?
Ich weiß es nicht. Es gibt ja keine Alternative. Ob ich mich interessiere oder nicht, sie kommt immer anders, als ich denke.
Freut Sie das?
Meist ärgert es mich. Weil ich mich falsch eingestellt habe. Aber im Prinzip ist es natürlich gut, dass die Zukunft unberechenbar ist.
Sind Sie ein glücklicher Mensch?
Ich habe Riesenglück gehabt mit meinem Leben. Ich habe so viele schöne Sachen gemacht. Ich mache sie immer noch. Ich habe fast nur getan, worauf ich Lust hatte. Das ist ein großes Privileg. Ich habe das nicht geschafft, weil ich es wollte. Ich wollte es, geschafft habe ich es aber nur, weil ich Glück hatte. Ohne Glück geht so ein Leben nicht. Schon mit dem Elternhaus hatte ich Glück. Liberale Eltern, die mich machen und dann auch gehen ließen. Ein großes Glück! Heute bin ich siebzig und gesund!
Nie gestürzt, nie eine Operation?
Das ja. Aber das ist Mechanik. Das wird repariert. Krank, bettlägerig krank mit Schmerzen war ich nie. Ich hielte das nicht aus. Ich könnte nicht krank sein. Ich würde sterben. Möglichst schnell. Aus lauter Angst vor der Krankheit. Aber offenbar hat die Krankheit Angst vor mir! Meine Freunde haben da ein Wehwehchen und dort ein Wehwehchen und sie haben Krankheiten, schlimme Krankheiten. Ich – nicht einmal einen Schnupfen.
Sie haben sich immer empfunden als einer, der anders ist?
Alle verstanden, was der Lehrer sagte. Ich null. Ich war nicht dumm. Aber ich verstand ihn nicht. Als Einziger. Manchmal dachte ich: Möglicherweise hat er recht und ich sollte ihn verstehen, aber meist interessierte es mich einfach nicht, was er sagte. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er mir etwas zu sagen hatte. Ich hatte null Respekt vor dem Lehrer. Er erzählte meiner Mutter, sie solle mich besser in eine Lehre statt in eine weiterführende Schule schicken. Meine Mutter kam nach Hause, sah mich an … Sie wissen, wie traurig eine Mutter ihr dummes Kind ansieht? Ich bin zu ihr – ich war zehn Jahre alt –, umarmte sie und sagte zu ihr: Ich werde weiter zur Schule gehen und ein SuperAbitur machen. Meine Mutter glaubte mir. Zu Recht!
Die Namen der Enkel kriegen Sie nicht zusammen. Und die ihrer Freundinnen?
Ich bin ein treuer Ehemann.
Sie sagen die Wahrheit?
Immer.
Immer die Wahrheit?
Ja. Meine Wahrheit.